Mein Tag in Gaza, Teil 2
Von Zachariyes Büro fahren wir durch eines der besseren Viertel Gazas in Richtung Küste. Der winzige Prozentsatz reicher Geschäftsleute aus Gaza zieht sich in modernen Villen hinter hohen Mauern zurück. Mein Praktikumschef und WELT-Korrespondent Norbert Jeßen erinnert sich an seine Zeit beim Fernsehen zurück, als er mit Kamerateam - nachdem der Hausmeister geschmiert war - eines der teuren Grundstücke ansehen kann. Im aufwändig angelegten Garten plätscherten Brunnen vor sich hin. "Wenn es etwas gibt, das hier noch wertvoller ist als Boden, dann Wasser", sagt er. Die Grundstückspreise sollen hier noch höher sein als in den besten Ecken Tel Avivs. Direkt am Strand aber keine Luxushotels oder Villen mit Meerblick, sondern eines der Armenviertel Gazas, aus dem der palästinensische Premierminister Ismail Haniye stammt und in dem er immer noch wohnt. Aber wenn 80% der Menschen unterhalb der Armutsgrenze leben, sollte man vielleicht lieber die nicht ganz so armen Viertel zählen.

Im Gespräch mit Sufian Abu Saida dann kommen mir einige Punkte doch reichlich bekannt vor (siehe letztes Posting). "Wir müssen uns selbst aufs Heftigste die Schuld geben. [...] Es hängt nur von uns ab", beginnt er sein Statement, um daraufhin zu sagen, dass die Palästinenser viele Probleme gar nicht selber zu lösen imstande seien. "Wir brauchen die Akzeptanz und Übereinstimmung der Israelis. Wer denkt, der braucht das nicht, wird weiter Problemen gegenüberstehen", erkennt er die Abhängigkeit von Israel und kritisiert im gleichen Atemzug die Hamas-geführte Regierung. Die habe immer gesagt, sie bräuchte kein Geld von der EU und den Vereinigten Staaten und beschwere sich jetzt, dass sie keine finanzielle Unterstützung bekomme. So kommt es, dass jetzt Gehälter nicht gezahlt werden. Rivalisierende politische Milizen bekämpfen sich gegenseitig. "Ich will, dass die Regierung meine Kinder beschützt, ich möchte nicht in Gefahr gebracht werden", schimpft er und nennt drei einfache Maßnahmen, mit denen er 95% der Verbrechen in Gaza verhindern will: "Erstens: Keine maskierten Bewaffneten mehr auf denb Straßen! Warum auch? Wenn die getötet werden, werden Fotos von ihnen eh veröffentlicht. Zweitens: Keine Fahrzeuge ohne Kennzeichen, Anmeldung und Versicherung mehr auf den Straßen." Es sei ja ein Unding, dass in Gaza Polizei- und Hamas-Autos ohne Nummernschild unterwegs seien. Als drittes würde Abu Saida schwarz getönte Autoscheiben verbieten.
Ob diese Vorschläge für den angegebenen Zweck nun geeignet sind oder nicht, spielt eigentlich die geringere Rolle. Wichtig war für mich zu sehen, dass Gaza nicht nur Kassam-Raketen auf Israel und israelische Luftwaffe auf Gaza bedeutet. Innenpolitisch ist der Gaza-Streifen auch nicht mit (west-) europäischen Maßstäben bewertbar. Mit Hamas und Fatah streiten nicht nur zwei Parteien um die Macht, sondern auch zwei Organisationen mit militärischen Kräften an ihren Seiten. Und das alles in einer Infrastruktur, die vorwiegend von Armut, Zerstörung, Abwesenheit von staatlicher, wirklich ordnender Gewalt geprägt ist. In diesem Umfeld geben die Menschen die Hoffnung nicht auf. Natürlich nicht. "Unabhängig von der Partei sind wir alle Palästinenser", sagt Abu Saida. Aber die Gemeinschaftlichkeit mit der Hamas fällt dem 46-Jährigen nicht leicht, wenn er etwa davon berichtet, dass die Hamas einen guten Freund ermordet hat. Dennoch sagt er, "verschließen wir von der Fatah uns nicht" einer möglichen Zusammenarbeit. Ähnlich wie Regierungssprecher Ghazi Hamad sieht auch Sufian Abu Saida das Gefangenenpapier als "guten Start".

Generaldelegierter Palästinas in Berlin. Er soll übrigens 1972 als palästinensischer Studentenführer die Olympia-Attentäter in seiner Münchner Wohnung beherbergt haben, ohne indes vom Vorhaben der Terroristen zu wissen. Das Interview führen wir problemlos in deutscher Sprache. Frangi spricht sehr überlegt und macht auf mich den Eindruck, seine Worte sorgfältig auszuwählen. Nachdem die "Gewalt auf den Straßen weniger geworden" sei, arbeite man nun an einer "Atmosphäre für politischen Dialog und einer Regierung der nationalen Einheit". Dazu stellt der studierte Politologe und Mediziner (Studium in Frankfurt am Main) klare Forderungen an die Hamas: "Behebung des Boykotts der Geldgeberländer und der internationalen Isolation". Interne Querelen seien "überhaupt keine Einschränkung für die Aussichten, die Hamas zu verdrängen". Klar, dass er sich da sicherer ist, als Abu Saida, der bei einer nächsten Wahl den Sieg der Hamas prophezeite. "Wir haben keine Führer, keine Aktionen", kritisierte er Abdallah Frangi, "und wir wollen keine neuen Führer, sondern nur dass sie was tun."
Nach dem Gespräch mit Abdallah Frangi sind wir bald wieder zurück am Grenzübergang nach Israel. Es ist so leicht für uns, wieder zu gehen. Aber die Palästinenser haben diese Möglichkeit nicht, sie müssen versuchen, die vielen Probleme in den Begriff zu bekommen. Sufian Abu Saida sagte dazu zweierlei: "Es gibt keinen, der den Schlüssel zur Lösung des Problems hat." Und: "Gott hilft uns [zwar], aber nicht bei allem. Wenn wir uns nicht selbst helfen, hilft Gott uns auch nicht."
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