Dem empörten Aufschrei Unaufgeregtheit entgegensetzen
Die Sachlage: Am 5. September 2007 trat die aus Israel kommende Hip-Hop-Gruppe DAM (engl. für “Da Arabic MCs“, hebr. Blut, arab. Blut/Ewigkeit), bestehend aus den drei arabischen Israelis Tamer Nafer, Suhell Nafer und Mahmoud Jreri, die sich selber als „1948-Palästinenser“ bezeichnen, gemeinsam mit den israelischen Hip-Hop-Stars Mooki (oder Mook E) und Piloni bei den Jüdischen Kulturtagen der Jüdischen Gemeinde Berlin auf.
Am gleichen Tag verfassten (laut juedische.at) Peter und Daniel Iranyi, vermutlich Mitglieder der Gemeinde und – auch das nur eine Vermutung – bei der Veranstaltung anwesend, einen Brief an den Gemeindevorstand, in dem sie sich über den Auftritt der Band beschwerten, den diese dazu genutzt habe, „gegen den Staat Israel zu hetzen und Hasstiraden zu verbreiten“. Es könne nicht sein, „dass auf einer jüdischen Veranstaltung Hasstiraden gegen den - jüdischen - Staat Israel ausgesprochen werden. Darüber hinaus mutet es auch pervers an, dass das (z.T. israelische)Wachpersonal bei dem Konzert die provozierende Band vor dem aufgebrachten (z.T. jüdischen) Publikum schützen sollte.“ Ferner bezeichnen die Iranyis Texte von DAM als „wahrheitsverzerrend und israelfeindlich“, stellen „zweifelhafte Inhalte und unsägliche Analogien“ fest. Sie fordern den Rücktritt bzw. die Absetzung des Organisators der Kulturtage, dem Vorstandsmitglied Peter Sauerbaum, sowie eine Entschuldigung bei den Gemeindemitgliedern.
Am 19. September antwortete Herr Sauerbaum den Iranyis laut juedische.at (Link wie oben), dass von ihm mit einer Stellungnahme „zu Ihren kunstfernen Erklärungen“ nicht zu rechnen sei.
Ich habe den Auftritt von DAM nicht gesehen und daher weiß ich auch nicht, welche Songs die Band vorgetragen hat. Wie Peter und Daniel Iranyi habe ich lediglich einen „Blick in
den Menüpunkt ‚Lyrics’ auf der bandeigenen Homepage http://www.dampalestine.com“ (Zitat aus ihrem Brief) gewagt, um mehr über DAM zu erfahren. Bisher kannte ich die Hip-Hop-Band aus diesem Artikel der israelischen Journalistin Lisa Goldman, die u. a. das Verhältnis zwischen den ehemals befreundeten DAM-Sänger Tamer und dem bekannten israelischen Rapper Subliminal erklärt:
Subliminal claimed he broke contact with Tamer over the issue of suicide bombers. “After the Dolphinarium bombing, Tamer said that he identified with the suicide bombers,” says Subliminal in an outraged tone […] “That means he supports terrorism.” In response, Tamer snorts derisively and says, “You see? He’s an idiot—not even worth responding to. Our collaboration didn’t end because of political reasons. It ended because the guy is beneath my level. He’s simply not very intelligent. He doesn’t even understand that hip-hop is the language of protest and anger. I never said I supported terrorism. I said I understood the rage that motivated the terrorists.”
Solche Aussagen und die Message, die DAM in ihrem 2003 veröffentlichten Song “Min Erhabi?“ („Wer ist der Terrorist?“) vertreten (das Musikvideo zeigt israelische Soldaten, die palästinensische Kinder schlagen und treten sowie auf steinewerfende palästinensische Kinder schießen, und erreichte weltweit hohe Klick- und Downloadzahlen), wurde zum bekanntesten Merkmal der Gruppe. Stein des Anstoßes in der jüdischen Welt wird im Kern sicherlich folgende Passage sein:
„Your killing us like you’ve killed our ancestors / You want me to go to the law? / What for? / You’re the witness, the lawyer, the judge / If you’re my judge / I’ll be sentenced to death / You want us to be the minority? / To end up the majority in the cemetery? / In your dreams! / You’re a Democracy? / Actually it’s more like the Nazis! / Your countless raping of the Arabs’ soul / Finally impregnated it / gave birth to your child / his name: Suicide Bomber / And then you call him the terrorist?”
Ich bin der Meinung, dass das ein Unterschied ist zu der Aussage im juedische.at-Artikel von Levi Salomon (in Kopie übrigens bei Wadi-Blog), der schreibt, dass durch den Auftritt ein Beitrag geleistet worden sei, „die Gruppe ‚DAM’, die Juden als Nazis beschimpfte, salonfähig zu machen“. (Eine ähnliche Meinung vertritt „Wind in the Wires“.)Bei näherer Betrachtung finde ich in DAM vielschichtigere Musiker, denen die nicht ganz korrekte Reduzierung auf die Forderung, der jüdische Staat Israel müsse abgeschafft werden, nicht gerecht wird. Tamer Nafers Aussage im Interview mit der „Jüdischen Zeitung“ (Doppelinterview mit Mooki): „Gleichheit, Zusammenleben. Es geht mir um die Flagge und die Hymne. Die müssen geändert werden. Ich will einen Staat für alle Bürger“, ist vielmehr wohl so zu werten, dass er der Meinung ist, der Staat müsse seinen jüdischen Charakter abschaffen, um eine wirklich Demokratie zu sein. Denn Nafer sagt im gleichen Gespräch als Kontrast zu Mookis Aussage, „wenn ein Jude in einem arabischen Land das sagen würde, was DAM sagt, würde er aufgehängt werden“, weshalb Israel immer noch eine Demokratie sei, folgendes: „Aber noch immer frage ich mich, welche Demokratie ist das, in der ich lebe? Ich lebe in Lod, mir stehen 100 Prozent zu. Die stehen mir zu, aber ich bekomme weniger. Deshalb kämpfe ich. Als Araber bekomme ich keine Baugenehmigung, keine arabische Erziehung, arabische Themen werden nicht im Fernsehen gezeigt“, „Und Du kannst das auch nicht so einfach mit anderen Staaten vergleichen, wie etwa dem Iran. Im Vergleich zu echten Demokratien sind beide Scheiße: Iran und Israel.“ Tamer Nafer sagt schließlich: „Der Siedler [im Westjordanland] will den Staat für sich, nur für die Juden. In meinem Staat kann jeder leben, Araber und Juden.“
Ich bin bei weitem nicht für Verharmlosung fragwürdiger Vergleiche, aber doch klar dafür, sie etwas unaufgeregter zu betrachten. Für einen Juden mag die Passage „jüdischer Staat nicht demokratisch, sondern wie Nazis“ eine „unsägliche Analogie“ (Iranyi, s.o.) sein, für den Verfasser, der sich als Rapper, als Musiker, als Künstler sieht, ist sie eine provokantes Stilmittel des Genres Hip-Hop. Ich wiederhole ein Zitat aus dem Nextbook-Artikel: „hip-hop is the language of protest and anger.”
Andere israelische Hip-Hop-Musiker und Musikexperten (Mooki im gemeinsamen Interview (s.o.) und hier swoie Musikkritiker Shai Fogelman und der Tel Aviver Club-Besitzer Daniel Sarid hier) sehen DAM bei weitem nicht unkritisch, erkennen aber den gesellschaftlichen Wert ihres musikalischen Engagements auf Hebräisch und Arabisch an.
Ich meine, dass sich diese unaufgeregtere, aber ernstnehmende Wahrnehmung einer palästinensischen Stimme aus Israel auch durch die Texte des aktuellen Albums von DAM, „Dedication“, begründen lässt.
In “Hibuna Ishtruna” (“Love us and Buy us”) nennen DAM ihre Waffen: “We are DAM's soldiers, in one hand it's the pen / in the other hand, it's the mic and the anger is our ride.” Mit ihrer Musik wollen die Drei etwas bewegen, und wenn man es nur als eine Anregung zum Dialog versteht, als Werben für Verständnis ihrer Situation ist:
”We are dying slowly / controlled by a Zionist democratic government! / ya', democratic to the Jewish soul / and Zionist to the Arabic soul / that is to say, what is forbidden to him is forbidden to me / and what what is allowed to him is forbidden to me / and what's allowed to me is unwanted by me / 'cause it's denying my existence / still blind to my colours, my history and my people / brain-washing my children / so that they grow up in a reality / that doesn't represent them / the blue idea card worth nothing to us / let us believe we are a part of a nation / that does nothing but makes us feel like strangers / me?? A stranger in my own country!! […] the whole world till today is treating us as Israelis / and Israel till tomorrow will treat us as Palestinians / I'm a stranger in my own country.” [aus: “G'aareb Fi Bladi” (“Stranger in My Own Country)]
Über ihre Zukunftsvision singen DAM in “Sawa’ Al Zaman“ (“Driver of Fate“): “Tell the driver of time, to take me from Forbidden / Drop me in Equality and I'll walk alone to Peace [...] take me to / a future without settlements, without refugee camps / and every one is growing where his roots is / without destroying their house / to a world where I'm allowed to visit my brothers in Syria / where there's no occupation to imprison me / where the Arabs agree for the first time in their lives / to the change ...”
Dass sich DAM daneben auch sozialen, nur sekundär politischen Themen widmen, hat Lisa Goldman in ihrem Artikel (Link s.o.) geschrieben (Rolle der Frau in der arabischen Gesellschaft, Drogenproblematik).
Eine Zeile aus dem den Albumtitel konstituierenden Track “Ihda’” (“Dedication”) macht mir Hoffnung für eine differenziertere Wahrnehmung von DAM: “This goes out to you all, all human beings / no matter what religion, what colour, from me to you.“ Diese Hoffnung sieht Tamer Nafar auch selber: Sowohl im Nextbook-Artikel als auch im auf der Bandhomepage eingepflegten Video-Interview spricht er davon, dass er Hoffnung sieht:
“We began with one message and another message came through - there's hope. There's a spark like a flame in the darkness of a cave. We hope it works out.”