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Wieso "Jens in Trouble"? Nun ja - mein ungeliebtes Hobby sind eben... Schwierigkeiten! Meist auf Reisen. Was im Kindesalter anfing, als ich mich in weiblicher Begleitung im Wald verlief, wurde nicht besser in Irland auf dem Blechdach, in Namibia mit den Reifen unseres Mietautos, dem im Bus vergessenen Flugticket oder dem Versuch, ohne Reisepass in die USA zu kommen. Und da war ja noch die Sache an der ägyptischen Grenze... na gut, lassen wir das. Ich steck einfach öfters mal "in Trouble"!

2006/07/29

Besser spät als nie...

Immer noch fallen Raketen auf Israel. Täglich meistens mehr als 100 Stück. Und immer noch treffen die meisten davon nur Felder, Straßen, Niemandsland. Viele der getroffenen Häuser stehen bereits leer. In der Region um Naharia sollen bereits 70% der Bevölkerung Richtung Süden, also außerhalb "Katjuschaland", geflohen sein.

Meinen Artikel zu diesem Thema, der gestern in der Rheinischen Post in Viersen erschienen ist, könnt ihr alle hier lesen.

Egal, wo sie landen - ihre beabsichtigte Wirkung verfehlen die von der Hisbollah gefeuerten Raketen nicht. Denn auch der psychologische Effekt, der die Menschen in ihrer Existenzangst zur Flucht nach Süden treibt, ist intendiert. Nicht zu vergessen daneben diejenigen Katjuschas, die physikalische Zerstörung bringen (oh Mann, das klingt ja technokratisch), die täglich Fabriken, Autos und Wohnhäuser treffen, Menschen verletzten. Die Bevölkerungsteile, die bleiben und nicht nach Süden fliehen, sind Bank- und Postangestellte, Beschäftigte in der Lebensmittelversorgung und einfach auch die, die sich die Flucht nicht leisten können. Erst nach und nach gesteht die Verwaltung den Regionen im Norden den Kriegszustand zu, der eine Entschädigung für Flüchtlinge und im Bunker Ausharrende und Zahlungen für den ausgefallenen Lohn vorsieht. Ich hörte von einer Familie, die den Bunker für ein paar Tage verließ und Abwechslung in einem Jerusalemer Hotel suchte. Denen wird die Entschädigung verweigert, weil sie ja nicht im Bunker, sondern im Hotel waren.

Am Donnerstag sprach ich in Maghar (auch Mrar), einem kleinen galiläischen Dorf muslimischer, christlicher und drusischer Araber, mit Walid, dem Bruder des 15-jährigen Mädchens, das diese Woche von Rakete getötet wurde. (Die Rakete war übrigens durchs Dach eingeschlagen, dabei nicht detoniert, im Haus dann - immer noch ohne Explosion - in den nächsten Raum gerutscht, wo sie dann das Mädchen traf und tötete.) Walid erzählte mir, dass er Wut verspüre. Auf Israel, das nicht auf seine Bürger achte, das die Araber (die sich selbst oft als Palästinenser mit israelischem Pass bezeichnen) systematisch benachteilige. Erst auf mein Drängen hin lenke er ein und zog seine Behauptung zurück, die israelische Armee habe absichtlich dafür gesorgt, dass dem Raketenangriff kein Alarm vorausging, weil die Rakete ja auf ein arabisches Dorf zuflog. (Die Alarme werden durch unbemannte Aufklärungsdrohnen automatisch ausgelöst.)

In einem Versammlungsraum in der Moschee saßen die Familienmitglieder beisammen und nahmen die Beileidsbekundungen der Gemeindemitglieder entgegen. Irgendwann traf dann auch eine drusische Abordnung ein. Nach dem üblichen Händeschütteln (jeder immer mit jedem, auch mit uns) platzierten sich die Drusen gegenüber der trauernden Familie. Irgendwer sagte was auf Arabisch, dann standen alle auf und sagten einen bestimmten Spruch und winkten mit der rechten Hand in etwa so, wie es die Queen immer macht. Später wurde mir erklärt, dass in den arabischen Dörfern die Religionsgemeinschaften einander nach dem Ableben eines besonders ehrenhaften Mitgliedes oder bei besonders tragischen Todesfällen wie hier diese Besuche abstatten, um gegenseitigen Respekt zu erweisen. Die Grußformel ist monotheistisch glaubensübergreifend, bei solchen Anlässen verzichten dann wohl auch die Christen auf die Betonung der Dreifaltigkeit und belassen es bei "Großer Gott".
Was mich auch beeindruckte, war die Aussage eines jungen Mannes namens Osama, der zuvor eine ganze Weile lang am Grab der Toten Suren aus dem Koran gesungen hatte. Er meinte, er fühle einerseits arabische Solidarität (mit dem Libanon, den Palästinensern) und andererseits eine gehörige Portion muslimische Wut im Bauch gegenüber der Hisbollah, die die 15-jährige Da'a getötet haben.

Auch in Nazareth einige Tage zuvor gab's eine seltsame Situation. Wie Maghar ist auch Nazareth eine arabische Stadt. Bei der Trauerfeier für die zwei kleinen Kinder (3 und 9 Jahre), die beim Spielen von einer Rakete getroffen wurden und starben, herrschte arabische Gastfreundschaft für alle: für die Journalisten, die mit Fotoapparaten, Kamerateams und Interviewwünschen gekommen waren, wie üblich für die Bekannten, Freunde und Verwandten, für den Bürgermeister und für den "Stargast", den Minister Eli Yishai (Wer wofür Minister ist, ist den Israelis momentan egal, die werden quasi als Allzweckwaffen eingesetzt. Außerdem hat das Kabinett hier 20 Minister, da weiß eh kaum jemand, wer wer ist und wofür.) Da sitzen also der Familienvater (er spricht im Interview mit Haaretz von "Bruder Nasrallah", der sich nur wehre), der Bürgermeister (Mitglied einer Partei, die regelmäßig Besuche in Damaskus abhält; er schon diplomatischer in der Jerusalem Post: "Krieg ist eben Krieg, man sollte nicht eine der beiden Seiten beschuldigen") und Minister Eli Yishai (by the way: Minister für Industrie, Handel und Arbeit) sitzt als orthodoxer Jude der Schas-Partei daneben und macht gute Miene zum bösen Spiel. Polizei und Leibwächter wirken nervös, scheinen sich mit Herrn Yishai in dieser Umgebung nicht wohlzufühlen. Als arabische Jugendliche auf der Straße die beiden Kinder in Sprechchören als Märtyrer feiern, verschwindet der Politiker ganz schnell von der Bildfläche. Diese kleinen Kinder als Märtyrer? Ich bin echt schwer verwirrt...

Seit zweieinhalb Wochen bombardieren die Jets der israelischen Luftwaffe militärische Ziele der Hisbollah im Libanon und militärisch genutzte Infrastruktur wie den Flughafen, Straßen, Brücken etc. Und seltsamerweise nimmt die Zahl der auf Nordisrael geschossenen Raketen kaum ab. Manche sprachen zwischenzeitlich schon von einer sich abzeichnenden Blamage der IDF. (Die kam dann ja mit der Bombardierung des UN-Postens, bei der vier UN-Beobachter ums Leben kamen.) Dann die Erkenntnis, dass man nur mit Luftangriffen der vollkommenen Zerstörung der Terrorstruktur wohl nicht beikommen würde. "Nadelstiche" wurden die gezielten einzelnen Operationen von Bodentruppen genannt. Mittlerweile sind ganze Bataillone im Libanon unterwegs, täglich fallen junge Soldaten, die begeistert (Ja, begeistert!) in den Krieg ziehen. Am Donnerstagabend wurden drei weitere Divisionen (15000 Soldaten) mobilisiert. Hätte man das denn nicht schon vorher erkennen können/müssen?