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Wieso "Jens in Trouble"? Nun ja - mein ungeliebtes Hobby sind eben... Schwierigkeiten! Meist auf Reisen. Was im Kindesalter anfing, als ich mich in weiblicher Begleitung im Wald verlief, wurde nicht besser in Irland auf dem Blechdach, in Namibia mit den Reifen unseres Mietautos, dem im Bus vergessenen Flugticket oder dem Versuch, ohne Reisepass in die USA zu kommen. Und da war ja noch die Sache an der ägyptischen Grenze... na gut, lassen wir das. Ich steck einfach öfters mal "in Trouble"!

2006/07/19

Warten auf etwas Gutes

In mancherlei Hinsicht ist das Reporterdasein vor Ort makaber. Schon am Morgen waren wir gestern nach Haifa in den Norden gefahren. In die Stadt also, in der zuvor die erfolgreichste gegen Israel gestartete Rakete der letzten Jahre acht Bahnarbeiter getötet hatte. „Das hat nicht mal Saddam Hussein 1991 geschafft“, erklärt mir mein Praktikumschef Norbert Jessen.

Als wir am Vormittag die drittgrößte Stadt des Landes erreichen, fahren wir zunächst eine Runde durch die Stadt, um ein wenig die Stimmung aufgreifen zu können. Viel ist nicht los. „Hier schieben sich normalerweise die Autos hupend und Stoßstange an Stoßstange vorwärts“, kommentiert mein Begleiter den leeren Hauptzubringer. Die Schar der Berichterstatter finden wir dann in und um das Dan Panorama Hotel. Eine große Auswahl an Hotels haben sie auch nicht. Das Dan ist im normalen Betrieb verblieben. Einkaufsmall - geschlossen. McDonalds - geschlossen. Alles in allem sehe ich an dem Tag nur ein Hotel, einen Kiosk und ein Café, die geöffnet haben.

Für 15 US-Dollar kaufen sich die Journalisten für 24 Stunden in das W-LAN des Hotels ein und sitzen in der zu kalt gekühlten Lobby in schweren Sesseln bei Cappuccino, Kuchen und Kanal 10, der wie immer live berichtet. Das Hotel liegt auf dem Berg Karmel (namensgebend für den Karmeliterorden), der sich knapp 500 Meter über den Meeresspiegel erhebt und das Bild der Hafenstadt prägt. An den vielen Aussichtspunkten der parallel zum Hang verlaufenden Straßen haben sich die TV-Wagen eingerichtet. Überall rattern die Generatoren und liefern Strom für Aircondition, Kühlschrank und Übertragungstechnik. Selbst in der hellen mediterranen Sonne bauen die Techniker Lampenständer auf und halten Alu beschichtete Reflektoren für optimales Licht bereit.

Die gute Infrastruktur des Hotels macht die sonst vorhandenen Nachteile der „Frontberichterstattung“ wett. Beständige Internetverbindung und Stromanschlüsse sind von vitalem Interesse für den schreibenden Journalisten. Ohne Strom neige man dazu, trotz Ersatzakkus weniger zu telefonieren als vielleicht notwendig, weiß der seit 20 Jahren aus Israel berichtende Korrespondent. Auch eine Laptopbatterie hält ja nicht ewig. Das Internet nutzt Jessen hauptsächlich für den Radio-Livestream. Den hat er stets mit mindestens einem Knopf im Ohr präsent, selbst beim Artikelschreiben. Der Vormittag und die Mittagszeit entpuppen sich als ruhig. Liefern muss der Korrespondent natürlich trotzdem. Nach Absprache mit den Auftraggebern schreibt Jessen unter anderem ein Porträt des Hisbollah-Führers Nasrallah und interviewt einen ehemaligen Militärgouverneur des Südlibanons. Über den ganzen Tag ist nur Zeit für einen halb ausgetrunkenen Kaffee, ein paar Schlücke Wasser und ein hastig bestelltes und bei der Arbeit verspeistes Stück Torte. Küche, Bar, Zimmerservice - der Hotelbetrieb läuft normal weiter und das -personal in dunklem Anzug mit Krawatte. Eine deutliche Unterscheidung von den Reportern in ihren Trekkinghosen und Outdoorhemden.

Über vier oder fünf Stunden arbeitet Norbert Jessen nonstop hochkonzentriert vor dem Computer. Auch der erste Raketenalarm um 16:40 Uhr Ortszeit, der mit lang gezogenem Geheul zum Gang in die Schutzräume auffordert, unterbricht die Arbeit nicht. Schließlich naht der Redaktionsschluss. Während er in der Lobby bleibt, folge ich von der Terrasse aus - schnell werfe ich noch einen naiven Blick nach Norden, vielleicht sehe ich die Rakete ja auf mich zukommen? - der Ausschilderung „To the Shelters“. Die führt mich durch die hölzerne Schwingtür erst in den Küchenzugang, wo ich beinahe einen beladenen Kellner umstoße, der die weniger nervösen, weiter auf der Terrasse verbleibenden Reporter bedient. Dann biege ich ab ins Treppenhaus, das ich über fünf oder sechs Treppenabsätze in den Hotelkeller heruntergehe. Dort ist der Aerobicraum mit Fernseher und Wasserspender als Schutzraum eingerichtet. Die Klimaanlage läuft wie verrückt. Obwohl ich Jeans und geschlossene Schuhe trage, friere ich ordentlich und verstehe das zehnjährige Mädchen, das sich in eins der bereit liegenden Bettlaken gehüllt hat.

Schon nach wenigen Minuten frage ich mich, was ich hier unten eigentlich mache und steige wieder auf in die Hotellobby, gehe auf die Terrasse. Im Süden der Stadt donnert es ganz gewaltig. Norbert Jessen sitzt immer noch tippend, lesend und korrigierend vor dem letzten Absatz des Artikels, wimmelt den drängelnden Anruf der Berliner „Die Welt“-Redaktion mit „Jaja, in zwei oder drei Minuten bin ich fertig!“ ab.

Beim zweiten und dritten Alarm um kurz nach fünf und noch mal 15 Minuten später begebe ich mich schon nur noch zwei Absätze im Treppenschacht nach unten. Das muss reichen, unten ist es zu kalt. Die Kellnerin, die in Freizeitkleidung auf dem Weg in den Feierabend ist, gibt mir recht. Schnell gehe ich wieder auf den Balkon, wo es wieder von Süden her grummelt. Die Neugier treibt mich. Aber der Gedanke, nur weil man vor Ort ist, wüsste man auch sofort, was passiert ist, trügt. „Das könnte auch in Akko gewesen sein“, mutmaßt Jessen und deutet nach Norden auf die alte Küstenstadt, „der Karmel gibt nur das Echo wieder.“ Die Vermutung erweist sich später als zumindest nicht falsch, denn in beiden Städten hatte es Einschläge gegeben.

Wenig später machen wir uns auf immer noch recht leeren Straßen auf den Weg nach Tel Aviv. Es ist billiger, die 90 Kilometer zwischen den beiden Städten zu pendeln, als im teuren Dan-Hotel zu nächtigen. Über das makabere Warten der Reporter, dass etwas (Schlimmes) passiert, sagt Norbert Jessen: „Es könnte ja auch etwas Gutes passieren.“ Was genau etwas Gutes wäre, weiß ich nicht. Für die Menschen in Haifa ist es aber erst mal was wert, dass heute fast nichts passiert ist.

2 Comments:

Anonymous Anonym said...

Really amazing! Useful information. All the best.
»

8/12/2006 8:59 AM

 
Anonymous Anonym said...

Greets to the webmaster of this wonderful site! Keep up the good work. Thanks.
»

8/17/2006 2:21 PM

 

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