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Wieso "Jens in Trouble"? Nun ja - mein ungeliebtes Hobby sind eben... Schwierigkeiten! Meist auf Reisen. Was im Kindesalter anfing, als ich mich in weiblicher Begleitung im Wald verlief, wurde nicht besser in Irland auf dem Blechdach, in Namibia mit den Reifen unseres Mietautos, dem im Bus vergessenen Flugticket oder dem Versuch, ohne Reisepass in die USA zu kommen. Und da war ja noch die Sache an der ägyptischen Grenze... na gut, lassen wir das. Ich steck einfach öfters mal "in Trouble"!

2006/08/04

Ratlos und besorgt

Ich bin ratlos. Aber woher soll denn ich Rat holen, wenn selbst die Politik keine realistische und vor allem nahe liegende Lösung sieht. Aber keine Angst - ich werde mich hier jetzt nicht an einer Analyse der Situation versuchen.

Gestern starben im Norden Israels acht Zivilisten. Fünf davon in der alten Kreuzfahrer-Hafenstadt Akko: Drei hatten gerade den Schutzraum verlassen, um die Folgen einer in der Nachbarschaft eingeschlagenen Katjuscha anzusehen, als eine zweite die gleiche Stelle traf; und zwei Brüder kamen in ihrem Auto um, als sie ihre Mutter besuchen wollten. So detailliert - noch detaillierter um ehrlich zu sein - beschreibt es die Tageszeitung Haaretz. Die anderen drei fielen in Ma'alot, wo ich letzte Woche einen Vormittag verbrachte. Mit den im Südlibanon gefallenen vier Soldaten ist der gestrige Tag der verlustreichste im bisherigen Konflikt.

Und auch heute gab es wieder Tote zu beklagen. Eine 27-jährige Mutter zweier Kinder starb in Mrar, dem arabischen Dorf, aus und von dem ich in einem Posting letzte Woche berichtete. Zwei weitere starben heute in Majdal Krum in einem Restaurant, ein Verletzter aus dem Nachbarort von Kirjat Schmona gilt als "critically wounded". Zu Opfer- und Raketenzahl von heute (195 Katjuschas laut haaretz.com) muss man ja leider noch ein "bisher" hinzufügen. Und fast wär's passiert... fast hätte ich zwei gefallene Soldaten unterschlagen. Aber: Abwarten! Der Tag ist ja noch nicht rum.

Ja, auch das klingt wieder proisraelisch - wie auch die letzten Beiträge -, was Alex gestern in seinem Kommentar bemerkte. Einen Hauch von Pathos mag man in dem von ihm kritiserten Nebensatz vielleicht wirklich finden. Andererseits ist es auch eine Tatsache, dass die Toten und Verletzten nun mal unschuldige Zivilisten sind. Vielleicht hätte ich die Unschuld nicht so betonen sollen, es könnten ja auch "Autoschieber, Mörder und Erpresser" (habe gestern Abend "Alarm für Cobra 11" geguckt) unter den Opfern sein.

Mir fällt es aber auch ehrlich schwer bzw. es ist mir eigentlich unmöglich, die Seite der libanesischen Opfer zu betrachten. Mein Wissensvorsprung besteht ja im Wesentlichen darin, dass ich hier lokale Medien konsumiere (wobei mein Hebräisch immer noch nicht ausreicht für Fernsehen, Radio, Zeitung - dabei wird es (Ausbleiben eines Wunders vorausgesetzt) bis Ende des Aufenthalts wohl auch bleiben; ergo lese ich auch nur JPost und Haaretz) und von Zeit zu Zeit auf Fahrten in den Norden die Gelegenheit bekomme, mit betroffenen Menschen selbst zu reden. Alex, verzeih mir also bitte die proisraelische Tendenz, ich werde versuchen, es nicht nach "Promo" aussehen zu lassen. Und vielen Dank nochmals für die Anregung. Die schiere Masse der Kommentare durchzulesen hat mich einige Zeit des heutigen Tages gekostet. Da haben die Medienwissenschaftler doch mal wieder Recht gehabt, dass moderne Konsumenten nur durch eine Medienangebot mit unaufwändiger Interaktivitätsmöglichkeit an ein Produkt zu binden sind.

Doch eigentlich wollte ich noch auf etwas Anderes hinaus. Leute, die schon in Israel gewesen sind, werden mir ein bestimmtes Straßenbild bestätigen können. Bildhübsche Frauen natürlich, chaotische Verkehrsverhältnisse (allerdings nicht schlimmer als Italien oder Griechenland, denke ich), Fußgänger, Vespafahrer, Autofahrer - alle mit Handy am Ohr logischerweise. Nur ein Element des typisch israelischen Straßenbildes vermisse ich in den letzten Tagen:

Die Soldaten.

Seit immer mehr Reservisten in ihre Einheiten gerufen werden, fehlen die jungen Männer und Frauen in ihren (für Bw-Verhältnisse) unordentlichen Uniformen und den umgehangenen M-16 oder M-4. Nur ein paar so genannte Jobnikim - also die Bürohengste (und -stuten) aus dem Verteidigungsministerium - laufen in ihren schwarzen Turnschühchen (sie müssen keine Stiefel zur olivgrünen Uniform tragen) durch die Gegend. In Friedenszeiten sieht man allen Wochentagen zu allen Tageszeiten Soldaten auf dem Heimweg oder auf dem Weg zu ihren Einheiten. Die israelische Armee kennt den freitäglichen 12-Uhr-Startschuss zur Bundeswehr-NATO-Wochenendheimfahrt-Rallye nicht, die Soldaten haben ihre freien Tage unregelmäßig unter der Woche.

Und jetzt kommt es mir so vor, als wären kaum noch Soldaten hier. Ich mache mir unterdessen große Sorgen um die Soldaten. Seit ich bei meinem letzten Aufenthalt hier einige Offiziere und Offizieranwärter der IDF kennen lernen konnte, schaue ich an den Kiosken immer mit Sorge auf die Titelblätter. Dort werden die Passfotos der gefallenen Soldaten mit Name, Dienstgrad, Alter, Wohnort abgedruckt. In einem kurzen Artikel werden noch die Familienumstände geklärt ("Er hinterlässt seine Eltern und zwei Schwestern.") und Kindergartenkumpels und der Basketballtrainer befragt. Am Folgetag werden dann Bilder von der Beerdigung gezeigt.

Heute Morgen habe ich Roy getroffen, den ich vor zwei Jahren kennen lernte. Roy ist nach sieben Jahren Dienst als Offizier aus der Armee ausgeschieden. Er berichtete, dass die jungen Offiziere, die mit mir und einigen anderen schöne Tage in der Negev verbrachten, derzeit alle im Einsatz sind: Ramallah, Gaza, Libanon. Ich möchte mit keinem von ihnen tauschen. Hoffentlich höre ich in nächster Zeit nichts von den Jungs - da gilt das Prinzip: "Keine Nachricht ist eine gute Nachricht!"

Und seit dem letzten Wochenende ist noch ein anderer Freund vier Jahre nach seinem Wehrdienst zur Reserve berufen worden. Lachend freute er sich: "Da muss ich ja nicht arbeiten" und holte staubige Kartons mit löchrigen Uniformhemden und seine schwarzen Lederstiefel heraus. "Was machst du denn eigentlich in der Armee?" fragte ich ihn und bekomme ein abwinkendes "Tut nichts zur Sache!" zur Antwort. Alles streng geheim.

Ich frage mich nun, ob er wohl schon im Libanon im Einsatz ist oder noch im Auffrischungstraining und in Sicherheit. Habe Angst, eines Morgens sein Gesicht in der Zeitung zu sehen. Oder ihn im Krankenhaus besuchen zu müssen. Oder ruft er mich dann doch irgendwann an und berichtet, wie lustig es gewesen ist, den jungen Wehrdienstleistenden "Geschichten von früher" zu erzählen?

1 Comments:

Anonymous Anonym said...

Schöner Bericht!

8/26/2006 6:49 PM

 

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